„Bin ich unzulänglich?“ Gedanken einer Mutter ODER Vom ewigen Vergleichen

Mutter und Kind
Mama und Baby am Strand

„Mein Baby hat mit 5 Wochen durchgeschlafen.“
Bäm. Zunächst großes Erstaunen meinerseits. Und ehrliches Interesse: wie dies überhaupt möglich sei?
Die Antwort lässt mich mehrere Tage nicht mehr los: es wäre harte Arbeit gewesen herauszufinden was das Kind brauche, aber ab dann hätte es geklappt.

Als mir auffällt, dass meine Gedanken immer wieder um diesen Satz kreisen, beginne ich zu hinterfragen woran das wohl liegt. Und des Rätsels Lösung ist schnell gefunden: weil ich mich durch diese Aussage unzulänglich fühle. Tief in mir ist ein Türchen aufgegangen, und dort hat sich dieser nagende Gedanke eingeschlichen: Ich gebe meinem Baby wohl nicht was es braucht. Offenbar ist es mir auch nicht möglich herauszufinden was das überhaupt sein soll.
Und dieser gemeine Gedanke beschleicht mich, obwohl ich genau weiß, dass ein mit wenigen Wochen durchschlafendes Baby ungefähr so häufig ist wie Schneefall in der Sahara, und ich den Eltern diesen Jackpot aus tiefstem Herzen gönne. Das, obwohl ich es für völlig normal halte, dass Kinder in den ersten Jahren nachts aufwachen und ihre Mama oder ihren Papa brauchen. Das, obwohl ich überhaupt kein Problem damit habe, dass mein Baby mich momentan mehrmals pro Nacht weckt, und ich davon ausgehe, dass dies auch in den nächsten Monaten so bleiben wird. Eigentlich. Denn trotz dieser Einstellung, trotz dieses Wissens: hört man so einen Satz, kiefelt man plötzlich doch dran.

„Meine Anderthalbjährige ist sauber. Ich habe ihr das von Anfang an so angewöhnt, und jetzt setzt sie sich schon von selber auf den Topf, wenn sie muss.“
Da ist es wieder, dieses leise Gefühl der Unzulänglichkeit.

„Ich fand die Geburt wunderbar harmonisch. Ich hatte mich innerlich so gut darauf vorbereitet – ich habe mich dabei gefühlt wie eine starke Göttin!“
Definitiv unzulänglich.

„Kinder brauchen für ihre Entwicklung viel frische Luft, deshalb sind wir jeden Tag 2 Stunden draußen, egal bei welchem Wetter!“
Bin wohl nicht nur unzulänglich, sondern auch ein faules Stück.

„Mein 2-Jähriger ist im Restaurant immer beim Tisch sitzengeblieben und hat gemalt oder Pixiebücher angeschaut.“
Zack, unzulänglich!

Jetzt ist es ja nicht so als würden uns diese Eltern sowas absichtlich erzählen um uns ein Gefühl der Unzulänglichkeit zu vermitteln. Und ich wette ich habe selber schon einige solcher Sätze von mir gegeben und unbewusst ähnliche Gefühle in meinem Gegenüber ausgelöst. Man ist stolz, freut sich einfach oder erwähnt lediglich nebenher etwas dem man selbst gar keine Bedeutung beimisst.

Aber Hand auf`s Herz: wir Mütter sind schon eine hypersensible Spezies mit Hang zu Perfektionismus und überhöhten Ansprüchen an uns selbst. Und da können wir uns noch so sehr sagen, dass jedes Kind anders ist und Vergleichen nix bringt, und dass eh alles normal und bestens ist – das Gefühl der Unzulänglichkeit bekommen wir zum Mutterdasein wohl gratis dazugeliefert, die einen mehr, die anderen weniger, mal häufiger, mal seltener, teils gibt es uns heftig zu denken, teils ist es uns schnell wieder wurscht. Je nach Tagesverfassung, Schubstatus und Schlafdefizit 😉

So weit, so normal. Spannend wird`s aber, wenn man analysiert, wie wir unterschiedlich auf das aufkeimende Gefühl der Unzulänglichkeit reagieren. Ich beobachte zumindest 4 Typen:

  1. Verleugnung bzw. Verdrängung: Wir sind super gechillt. Andere Eltern machen es anders als wir? Na und? Kind X kann schon dieses und Kind Y jenes? Pffff, uns total wurscht, unser Kind ist sowieso das tollste. Henri ist 2 und wird bis heute zuckerfrei ernährt und hatte noch nie Fast Food? Coole Sache, halten wir aber bei unserem Kind in dieser Konsequenz nicht für notwendig.
    Tun wir auch tatsächlich nicht. Wir sind gute Eltern. Wir sehen Erziehung nicht als competition, völlig egal, ob es um die aufwändigst gestaltete Geburtstagsparty,  die pädagogisch wertvollsten Ausflüge oder gesunde Ernährung geht.
    Aber dennoch – wir ertappen uns in kurzen Momenten dabei, uns zu fragen, ob wir unser Kind nicht vielleicht doch nicht ausreichend gesund ernähren? Wir nicht dizipliniert genug sind? Nicht unser Bestes geben gar?
    Und schieben diesen zutiefst unangenehmen Gedanken natürlich sofort wieder weit weg.
    Oh ja, wir kennen es, das Gefühl der Unzulänglichkeit – wir geben es nur richtig, richtig ungern zu, denn wir sehen uns ja als die Superentspannten.
    Aber wäre es nicht vielleicht heilsamer, sich der Sache offen zu stellen? Das Gefühl bewusst zuzulassen anstatt so zu tun als wäre es gar nicht da? Miteinander darüber zu reden?
    „Hey, mir geht`s genauso wie dir, ich bin unsicher, habe Zweifel, befürchte immer wieder etwas falsch zu machen“ – denn ein Kind in die Welt zu setzen, das ist eine große Verantwortung, da kann man`s schon mal mit der Angst zu tun kriegen… und letztendlich ist es für jeden eine Achterbahnfahrt, bei der man viel durch Versuch und Irrtum lernt, Dinge ausprobiert, sie wieder verwirft und letztendlich vielleicht ganz anders händelt als man sich das ursprünglich vorgestellt hat.
  2. Spott und Häme: eigentlich fänden wir es toll, wenn unser Kind auch wenig bis gar keinen Zucker essen würde, denn wir lieben den Gedanken, dass unser Kind bereitwillig die Karotte dem Schokoriegel vorzieht. Ist aber nicht so. Und jetzt kommt da jemand, der (unabsichtlich) vermittelt: „Es ist möglich, mein Kind ist der lebende Beweis – IHR habt es eben vermasselt.“
    Das fühlt sich natürlich einigermaßen uncool an. Was wir daraufhin machen? Das, was wir als Menschen besonders gern machen, wenn uns jemand den Spiegel vorhält und eventuell einen wunden Punkt erwischt: Wir machen uns lustig und ziehen das Thema ins Lächerliche. Natürlich auf Kosten der Supereltern – schließlich haben diese uns unsere Unzulänglichkeit bewusst gemacht, das gehört bestraft.
    „Haha, Henri kriegt sicher noch mit sieben eine Geburtstagstorte aus Pumpernickel, serviert auf einem Ethno-Bast-Teller von der hanfpatscherl-beschlapften Mama, nicht zu vergessen die Schutzbrille, die er beim Ausblasen der handgezogenen Bienenwachskerzen tragen muss.“
    Aber wäre dieser Spiegel nicht eher eine Gelegenheit, nochmals unsere eigenen Motive zu prüfen? Uns eventuell dazu zu inspirieren, unsere Einstellung zu hinterfragen? Um dadurch in unserem Tun bestärkt hervorzutreten, oder – auch das soll`s geben – es zu überdenken?
  3. Trotz und Abwehr: auch sehr beliebt. Henri kriegt keinen Zucker? Um erst gar keinen Zweifel an der eigenen Erziehungskompetenz aufkommen zu lassen, wird die Flucht nach vorne angetreten: fast stolz und etwas zu laut bezeichnen wir uns scheinbar selbstbewusst als Bad Mom. Ja, man sei eben eine Rabenmutter, weil man dem Kind auch schon mal morgens im Buggy die Milchschnitte in die Hand drücke, und den Einkaufskorb voller Süßkram habe, wenn man es später vom Kindergarten abhole.
    Um jegliches Gefühl der Unzulänglichkeit von vornherein von uns abprallen zu lassen, propagieren wir einfach das absolute Gegenteil. Damit die Mamas der Henris uns ja nichts anhaben können.
    Aber wäre es nicht schön, wenn wir dazu fähig wären, uns selbst konstruktiv zu kritisieren? Wenn wir lernfähig blieben anstatt auf stur zu schalten? Wenn abweichende Lebensmodelle nicht Abwehr in uns auslösen würden, sondern uns bereichern würden?
  4. Angst und Sorge: Das Gegenteil der Bad Moms. Henri kriegt keinen Zucker? Machen wir längst so! Und zur Sicherheit auch gleich laktosefrei, und wenn wir schon dabei sind, kübeln wir auch noch Gluten.
    Alles, was das Kind betrifft, recherchieren wir zunächst stunden-, nein tagelang im Internet. Macht diese Creme Krebs? Schadet jenes Hobby der Hirnentwicklung? Ist das Spielzeug aus in Europa gewachsenem, nachhaltigem Holz? Dürfen wir unser Kind noch loben? Unser Kleinkind hat neulich dem Kindergartenfreund eins über die Rübe gezogen? Um Gottes Willen, lieber gleich zur Psychologin gehen!
    Wir lesen Studien über die Auswirkungen von Fernsehen und Social Media auf Kinder, diskutieren darüber ob Töpfchentraining noch zeitgemäß ist, und sorgen uns um jegliche potentielle Gefahrenquelle.
    Wir wollen ALLES richtig machen, immer und ausschließlich. Auf das Gefühl der Unzulänglichkeit reagieren wir mit Perfektionismus – aber dieser drängt uns unweigerlich ins mütterliche Burn-Out. Sollen wir jedes Mal tagelang depressiv sein, wenn wir unsere Kinder beim Spielen am Tablet erwischt, sie eine ganze Tafel Schokolade gegessen oder wir uns mal im Ton vergriffen haben? Sollen wir uns jedes Mal Sorgen um die Zukunft der Kinder machen, wenn die lieben Kleinen eine Stunde vorm Fernseher sitzen anstatt mit der Brio-Eisenbahn zu spielen? Sollen wir jedes Mal innerlich ein vor Angst triefendes Fass aufmachen, wenn mal IRGENDWAS nicht so läuft wie das Idealbild in unserem Elternhirn?
    Guess what: mit Kindern läuft selten alles perfekt. Sollten wir es dann nicht doch mit etwas mehr Entspannung versuchen? Unser Kind wird nicht gleich sterben, weil es ab und zu einen Keks mit Palmöl erwischt. Es wird nicht unweigerlich zum Sozialfall, weil es auch mal gern ein Youtube-Video anschaut.
    Unser Wunsch, nur das Beste für das Kind zu wollen, in Ehren: es ist gut, dass wir uns informieren und vieles kritisch hinterfragen, aber ganz ehrlich: manchmal machen wir uns einfach nur narrisch. Achten wir darauf, nicht vor lauter do`s und dont`s das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren. Denn ein Kind, das viel draußen spielt und gerne Bücher anschaut, wird nicht motorisch und geistig verkümmern, wenn es ein paar Minuten am Tag am Handy herumwischt. Atmen wir also durch – kein Grund uns unzulänglich zu fühlen.

    Kennt ihr das Gefühl der Unzulänglichkeit als Mutter? Und wie geht ihr damit um?  Ich persönlich finde es ja total unnötig, sich dahingehend Stress zu machen. Ich WEISS, dass ich nicht unzulänglich bin (zumindest nicht mehr oder weniger als alle anderen 😛 ). Trotzdem poppt das Gefühl dann und wann auf.
    Und wie ist das mit den Vätern? Nehmt ihr tatsächlich alles lockerer? Oder seid ihr in Wirklichkeit einfach nur Meister im Verleugnen/ Verdrängen 😉 ?

    Ich selbst bemühe mich nach dieser Erkenntnis darum, auf das Gefühl der Unzulänglichkeit wie Typ Nr. 5 zu reagieren: mit liebevoller Akzeptanz ❤

6 Kommentare zu „„Bin ich unzulänglich?“ Gedanken einer Mutter ODER Vom ewigen Vergleichen“

  1. liebe leute, lasst doch einfach die kirche im dorf….du bitte auch. lass dich nicht nervös machen von irgendwelchen menschen, die behaupten, dass bei ihnen alles flutscht und perfekt ist. das meiste ist gelogen oder zumindest übertrieben. und in jeder eigenschaft gibt es einen durchschnitt, der sich aus unterdurchschnittlichen und überdurchschnittlichen datenpunkten zusammensetzt, und unterdurchschnittlich soll es nicht sein, deswegen wird gelogen…….das sollte niemanden unruhig machen, ausser denjenigen, die übertreiben, damit sie nicht ertappt werden. relax und chill……..alles gut!

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    1. Danke Keloph! Seh‘ ich ja genauso wie du. Zum Glück gibt es in meinem Bekanntenkreis eh niemanden, der behauptet alles wär perfekt 😉
      Im Online-„Leben“ sieht’s da schon wieder anders aus, aber da flunkert sich’s auch leicht…
      Aber es ist auch nicht alles übertrieben, viele Dinge laufen ja auch mit Kindern glücklicherweise sehr gut – häufig sind das halt dann genau die Dinge, die beim Nachbarn schlecht laufen und umgekehrt 😉

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      1. ja na klar. ich predige nur überall, dass man bitte die kirche im dorf lasse, wenn es um die eigene „leistung“ gerade im zusammenhang mit kindererziehung geht und um die darstellung nach draussen. du machst es bestimmt genauso gut wie andere, und ich auch 😉

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